Material-Check: Hike & Fly

Mit gutem Grund ist Hike & Fly mittlerweile zum Trend geworden, ist man doch in den meisten Fluggeländen zu Corona-Zeiten aufs „Hochlaufen“ angewiesen. Wer das Hiken mit dem Schirm noch nicht für sich entdeckt hat, sollte dies schleunigst nachholen, denn es ist ein völlig verändertes Wahrnehmen des Flugabenteuers. Wer die Höhenmeter bis zum Startplatz aus eigener Kraft überwunden hat, wird am Ende ein noch intensiveres Andenken in Erinnerung behalten, als wenn man einfach nur mit dem Auto zum Startplatz gondelt. Warum ist das so? Das ist eine einfache Rechnung: Beim Hike & Fly beginnt das Erlebniss spätestens mit dem ersten Schritt in Richtung Startplatz. Oftmals aber schon am Vorabend, wenn man seine Ausrüstung zurechtpackt und sich Gedanken darüber macht, was man für die Tour denn tatsächlich benötigt. Geht’s dann endlich los, stellt man schnell fest, dass das vermeintlich bekannte Gelände durchaus Überraschungen offenbart. Es eröffnet sich eine völlig neue Perspektive, was auch bei zukünftigen Flügen in diesem Gelände von großem Vorteil sein kann. Die gesundheitlichen Aspekte mal ganz außen vor gelassen, passt das Hike & Fly als authentisches Naturerlebnis ohnehin viel besser zum Gleitschirmsport als das Shutteln mit dem Auto.

Aber eigentlich soll es heute gar nicht so sehr um den Sinn und Zweck des Hikens gehen, sondern vielmehr um die passende Ausrüstung. Wir sind häufig zu Fuß am Berg unterwegs und testen dabei die unterschiedlichsten Materialien und Gadgets. Hier wollen wir über verschiedenes Equipment berichten, um euch die ein oder andere Hilfestellung oder Entscheidungshilfe zu bieten. Selbstverständlich interessieren uns auch eure Erfahrungen und wir freuen uns über Feedback.

Regen, Schnee und starker Wind. So sah es in den letzten Wochen vielerorts aus. Ans Fliegen war kaum zu denken. In den letzten Tagen hat sich jedoch ein, wenn auch kleines, aber evtl. fliegbares Fenster für Donnerstag (04.02.2021) abgezeichnet. Also am Mittwochabend nochmal das Wetter gecheckt und siehe da, der Wettergott schien gnädig gestimmt zu sein. Coronabedingt steht Hike & Fly hoch im Kurs. Kommt mir entgegen, ich wollte ohnehin ein neues „Light-Setup“ testen.

Voller Vorfreude schnürte ich mir am Vorabend also mein Päckchen mit folgendem Inhalt:

  • GIN Calypso
  • Skywalk Range X-Alps
  • GIN Yeti UL Rettung
  • GIN Concertina Compress
  • GIN X-Lite Rucksack
  • Supair „Pilot“
  • Skytraxx 2.1

Rucksack/Zellenpacksack:

Ein kleines Packmaß ist meiner Einschätzung nach wichtiger als das Tragegewicht. Natürlich machen sich 1-2 Kilo beim Tragen deutlich bemerkbar, eine gute Verteilung des Gewichts und ein vernünftiges Trägersystem ist mir jedoch wichtiger und erleichtert den Aufstieg ungemein. Wenn der Rucksack gut anliegt und bequem sitzt, lässt sich über das ein oder andere Gramm hinwegsehen. Mein Ziel ist es also, möglichst kleinräumig zu packen und so habe ich mich für den G-Lite-Rucksack mit 50 Liter Packvolumen (ca. 550 g) entschieden. Für eine 1-Tages-Tour völlig ausreichend, fürs Biwakfliegen würde ich zur 60 Liter-Variante tendieren, um noch einen Schlafsack und ein kleines Zelt unterzubringen.

Der Schirm passt, herkömmlich gepackt, zwar in den Rucksack, dann wird’s allerdings schon sehr eng. Die Alternative: ein Kompressions-Zellenpacksack. Der Concertina Compress wiegt ca. 200 Gramm und verringert das Packmaß des Schirmes um etwa ein Drittel.

Das Range X-Alps von Skywalk kommt clever verpackt im „inflation bag“ (dazu später mehr) und nimmt damit im Vergleich nur ungefähr die Hälte des Schirmpackmaßes in Anspruch – und das inklusive Retter und Vario. Für ein Liegegurtzeug ist das wirklich unglaublich klein. Und so war ich doch mehr als gespannt, ob sich das Teil im Flug denn wirklich als tauglich erweist.

Im Rucksack bleibt dann noch ein wenig Platz für Proviant oder dergleichen. Die zwei seitlich angebrachten Taschen aus Meshgewebe sowie zwei weiteren kleinen Taschen an den Schultergurten bieten zusätzlichen Stauraum für Getränkeflasche, Handy und was man sonst noch so benötigt. Der Helm wird oben am Rucksack befestigt und ist dort mittels vier Befestigungsschlaufen super gesichert.

Alles in allem kam ich am Ende ungefähr auf ein Gesamtgewicht von 8 Kilogramm. Nach einer guten Stunde Gehzeit und 500 Höhenmetern Aufstieg trägt sich das Ganze immer noch sehr entspannt. Durch die gepolsterten Schultergurte, die verschiedenen Einstellmöglichkeiten und den Hüftgurt ist der Rucksack vom Tragegefühl her absolut gleichwertig zu einem Wanderrucksack.

Gurtzeug:

Nach kurzer Pause am Startplatz baue ich das Gurtzeug auf. Klingt aufwendiger als es ist. Der bereits erwähnte „inflation bag“ dient nicht nur als Packsack, sondern auch, wie der Name schon vermuten lässt, als Blasebalg, um den Protektor mit Luft zu füllen. Dazu öffnet man die Bag, zieht sie einmal durch die Luft, damit sie sich füllt und verschließt sie mit dem angebrachten Clip. Nun wird der Luftschlauch des Protektors mit einem Ventil verbunden und man kann so die Luft ganz einfach in den Protektor drücken. Das Spielchen macht man zweimal und schon ist der Protektor ausreichend gefüllt. Nun muss nur noch der Luftschlauch wieder verschlossen werden und es kann losgehen.

Das Gurtzeug bietet genügend Stauraum, um sein gesamtes Equipment unterzubringen, und verfügt im Inneren des Beinsacks über eine zusätzliche Tasche zum Verstauen von Wanderstöcken. Insgesamt mutet das Teil schon sehr filigran an und sollte aufgrund des ultraleichten Materials entsprechend sorgsam behandelt werden. Im Flug fühlt sich das Gurtzeug trotz minimalistischem Aufbau super komfortabel an und gibt ein sehr präzises Feedback des Schirms an den Piloten weiter. Ich bin begeistert!

Gleitschirm:

Beim Schirm habe ich mich für den Calypso in der Größe S entschieden. Er ist im unteren bis mittleren EN-B-Segment angesiedelt und mit 3,6 Kilogramm ein echtes Leichtgewicht, aber dennoch robust genug, um im Fliegeralltag Stand zu halten.

Durch das leichte Tuch startet der Flügel super einfach, auch bei wenig oder keinem Wind. Mit guten 90 Kilogramm Abfluggewicht lässt er sich dann doch deutlich sportlicher fliegen als in Größe M. Ohne Eingreifen des Piloten fühlt er sich sehr ruhig und flugstabil an, gibt man ihm aber die Sporen, wird er an der oberen Belastungsgrenze schon auch agil und drehfreudig. In der nächsten Größe (M) war das Handling deutlich gedämpfter. Mein Fazit zum Calypso: ein super ehrlicher Schirm mit viel passiver Sicherheit und obendrin auch noch absolut Hike & Fly tauglich. Über die Leistung von aktuellen Schirmmodellen braucht man sich meiner Meinung nach keine Gedanken mehr zu machen. Das volle Potential solcher Flügel werden die meisten Piloten, mich eingenommen, vermutlich niemals ausschöpfen können.

Vario:

An den Vario-Grundfunktionen hat sich beim Skytraxx 2.1 gegenüber dem 2.0 Plus auf den ersten Blick nicht viel verändert. Warum auch das Rad neu erfinden? Neu sind aber die FANET- und FLARM-Funktionen: Diese Systeme dienen nicht nur als Kollisionswarner, sondern liefern beispielsweise Daten über Windwerte von Bodenstationen und erlauben das Verfolgen und Kommunizieren mit anderen Pilot*Innen. Seit einer unerwarteten Begegnung mit einem Segelflieger im vergangenen Sommer möchte ich insbesondere auf die Kollisionswarnung nicht mehr verzichten. In der Diskussion um die Erhaltung unserer Lufträume könnten solche Systeme in Zukunft noch eine große Rolle spielen, gerade im Hinblick auf beispielsweise Drohnen.

Helm:

Dazu gibt’s nicht viel zu sagen. Der Supair „Pilot“ tut das was er soll: einfaches Verschlußsystem, variable Größenanpassung (ein spitzen Feature, wenn man mal mit und mal ohne Kopfbedeckung fliegt), abnehmbare Ohrschützer und ein geringes Gewicht – top!

Leute, geht raus! Geht fliegen! Und vergesst dabei nicht, warum ihr zum Fliegen geht. Habt Spaß an den Erlebnissen!

Wenn ihr uns braucht, wisst ihr, wo ihr uns findet. Falls ihr uns nicht findet, sind wir beim Fliegen

Stay safe & healthy

Euer Sven vom Sky Team